Fähnchen mit AfD-Logo
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Deutschland

Parteien im AfD-Dilemma

In Umfragen liegt die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) aktuell an der 20-Prozent-Marke, Kopf an Kopf mit der SPD von Kanzler Olaf Scholz. Besonders stark ist die Rechtsaußenpartei in Ostdeutschland, wo zuletzt ein AfD-Mann in ein Bürgermeisteramt gewählt wurde. Die Gründe für den Aufstieg sind vielfältig. Die anderen Parteien stecken im Dilemma. Nach außen hin setzt man auf Ausgrenzung der Rechtsaußenpartei – doch die Normalisierung der AfD schreitet voran.

In Sachsen, Thüringen und Brandenburg stehen kommendes Jahr Landtagswahlen an. Aktuelle Umfragen sehen die AfD in allen drei der ostdeutschen Bundesländer auf Platz eins. Bundesweit erreichte die AfD im Juli einen neuen Höchstwert: Im ARD-Deutschlandtrend liegt sie bei 20 Prozent auf Platz zwei vor der Kanzlerpartei SPD (18 Prozent). Spitzenreiter mit 28 Prozent ist die Union.

Auch wenn die nächste Bundestagswahl regulär erst 2025 stattfindet, rufen die Ergebnisse in der deutschen Politik Besorgnis hervor. „Wir dürfen das Geschäft der Angstmacher in dieser Gesellschaft nicht noch weiter fördern“, mahnte Deutschlands Präsident Frank-Walter Steinmeier. „Was wir brauchen, ist nicht eine Konjunktur der Angstmacher, sondern eine Konjunktur der Problemlöser.“

AfD-Parteivorsitzende Tino Chrupalla und Alice Weidel
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AfD-Vorsitzende Alice Weidel und Tino Chrupalla: Besonders im Osten befindet sich die Rechtsaußenpartei im Umfragehoch

In der deutschen „Ampelkoalition“ aus SPD, Grünen und FDP haben die „Problemlöser“ derzeit nicht gerade Hochkonjunktur. Das „Heizungsgesetz“, ein Prestigeprojekt der Grünen, liegt auf Eis. Was die Klimapolitik angeht, zeigen sich tiefe Risse zwischen der Ökopartei und den Liberaldemokraten. Die CDU warf der Regierung vor, ein „Konjunkturprogramm für die politischen Ränder“ zu betreiben. Die SPD räumte ein, der Koalitionsstreit sei mitverantwortlich für das AfD-Umfragehoch.

„Gesichert rechtsextremistische Bestrebung“

Die AfD wurde 2013 im westdeutschen Bundesland Hessen als rechtsliberale, EU- und Euro-skeptische Partei gegründet. In den folgenden Jahren rückte sie zunehmend nach rechts. 2017 gelang der Einzug in den Bundestag. Vertreterinnen und Vertreter der Partei fallen regelmäßig mit offen rassistischen, frauenfeindlichen und homophoben Aussagen auf.

Erst diese Woche stufte Brandenburgs Verfassungsschutz die AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ ein. Im März urteilte ein Gericht, dass der deutsche Verfassungsschutz die gesamte AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen dürfe. Kurz vor dem Gedenken an die Befreiung Deutschlands vom Nazi-Regime am 8. Mai sagte der AfD-Vorsitzende Tino Chrupalla einem rechten Blog, dass „Deutschlands Niederlagen“ beim Gedenken immer mitschwängen und es grundsätzlich problematisch sei, das „Gedenken immer mit der Schuldfrage zu verknüpfen“.

Protest, aber keine „Protestwähler“

Warum die AfD trotzdem beim Wahlvolk reüssiert, darüber ist in Deutschland eine lebhafte Debatte entbrannt. Fachleute sehen in der aktuell schwachen Performance der „Ampel“ durchaus einen Grund für die hohen Zustimmungswerte – aber bei Weitem nicht den einzigen. „Wenn es einen wirtschaftlichen Abschwung gibt und Wählerinnen und Wähler das Gefühl haben, dass die Regierung nicht effektiv dagegen arbeitet, wählen sie andere Parteien“, sagte der Politologe Markus Wagner vom Institut für Staatswissenschaft an der Universität Wien gegenüber ORF.at. Dafür gebe es wissenschaftliche Evidenz.

Den Begriff „Protestwähler“ würde Wagner in Zusammenhang mit der AfD dennoch nicht verwenden. Er suggeriere, dass die Wählerinnen und Wähler der Partei aus Unwissenheit ihre Stimmen gäben. Tatsächlich sei es aber so, „dass sie der Partei bis zu einem gewissen Grad – vielleicht nicht vollumfänglich – zustimmen und die Richtung wollen, die die AfD einschlägt“, so der Wissenschaftler.

Deutschlands Wirtschaftsminister Robert Habeck
Reuters/Fabrizio Bensch
Deutscher Bundestag: Regierungsstreitigkeiten sind nicht der einzige Grund für das Erstarken der AfD

Für Wagner hat das Erstarken der AfD mit der „Mischung aus der aktuellen Themenlage und größeren gesellschaftlichen Veränderungen der letzten 20, 30 Jahre“ zu tun. So habe die Bindung der Wählerinnen und Wähler an ihre Stammparteien in den vergangenen Jahrzehnten stark abgenommen. Als weiteres „Hintergrundmerkmal“ nennt er die wirtschaftliche Lage, die sich für viele Menschen in den Jahren der Pandemie und durch die Inflationsentwicklung verschlechtert habe. Hinzu kämen „Abstiegsängste in der Gruppe, der es nicht schlecht geht, die aber einen Trend nach unten für sich selbst und ihre Umgebung“ sieht.

Thema Migration polarisiert

Ohne die aktuelle Themenlage ist das Erstarken der AfD Wagner zufolge aber nicht erklärbar. Seit der großen Flüchtlingsbewegung 2015 ist die Migration ganz oben auf der politischen Agenda. Das Thema polarisiert – auch wenn, wie Wagner sagt, sich in Migrationsfragen in der Bevölkerung keine eindeutige Bewegung nach rechts zeige.

Bei Menschen, die schon davor Migration skeptisch gegenübergestanden seien, habe sich die negative Haltung potenziell verfestigt. Wagner spricht in diesem Zusammenhang von der „Kristallisierung“ der Meinungen. Während die Parteien der Mitte noch keine guten Antworten gefunden hätten, „bilden radikale Parteien am rechten Rand diese Meinungen besser ab“.

Protest gegen AfD
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Anti-AfD-Protest: Die Partei fokussiert stark auf das Migrationsthema und hat damit auch bei früheren Nichtwählenden Erfolg

Die Ablehnung der Migrations- und Flüchtlingspolitik durch die AfD wird von ihren Wählerinnen und Wählern deutlich stärker geteilt, als das beim Elektorat der anderen Parteien der Fall ist. „Wie die seit 2016 bei vielen Wahlen angestiegene Wahlbeteiligung zeigt, konnte die AfD damit auch viele frühere Nichtwähler mobilisieren“, schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung (bpd).

Überdurchschnittlich stark in Ostdeutschland

Nimmt man die genannten Faktoren zusammen, lässt sich die Stärke der AfD in den „neuen“ Bundesländern im Osten der Bundesrepublik laut Wagner gut erklären. Die Sozialstruktur ist eine andere als im Westen. Die wirtschaftliche Entwicklung ist nach wie vor schwächer, die Mittelschicht auch aufgrund starker Abwanderungstendenzen von höher Gebildeten kleiner.

Bis 1990 regierte ein kommunistisches Regime, in der sich „autoritäre Einstellungen besser entwickeln konnten“, sagte Wagner. Zudem sei die Verankerung der traditionellen Parteienlandschaft weniger tief. In einer jungen Demokratie „ist es leichter, sich als neue Partei zu etablieren“, so der Politologe.

Zentral für die Anziehungskraft der AfD sei auch der Fokus auf „Identitätspolitik“, wie der deutsche Rechtsextremismusforscher Wilhelm Heitmeyer der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“) sagte. „Mit der aggressiven Behauptung einer Gruppenidentität werden Gruppengrenzen verhärtet. Das macht die AfD attraktiv für autoritär geprägte Personen, die in ihrer Biografie harte Brüche und Anerkennungsverluste erfahren haben“, so Heitmeyer.

Risse in der „Brandmauer“

Die anderen Parteien stehen vor einem Dilemma. Bisher setzte man auf Ausgrenzung. Um die Rechtsaußenkraft wurde eine politische „Brandmauer“ gezogen. Das Mauerwerk bekam zuletzt Risse: In Thüringen eroberte ein AfD-Mann den Posten eines Landrats, in Sachsen-Anhalt wurde erstmals in Deutschland ein Vertreter der Partei in ein Bürgermeisteramt gewählt.

Gerade auf lokaler Ebene sind deutliche Anzeichen einer Normalisierung der AfD zu bemerken – vor allem in den östlichen Bundesländern: Allein in Sachsen kooperierte die lokale CDU zwischen 2019 und Ende 2022 in 21 Fällen mit der AfD, wie der deutsche Politologe Steven Hummel dokumentierte. Punktuell arbeiteten auch die FDP, Grüne und die Linkspartei mit der AfD zusammen.

Wie lange die „Brandmauer“ auf Landesebene hält, scheint ebenfalls fraglich. In Brandenburg, Sachsen und vor allem Thüringen „dürfte es sehr bunter Koalitionen bedürfen, um die AfD von der Macht fernzuhalten“, konstatierte jüngst die „Neue Züricher Zeitung“ („NZZ“) mit Blick auf die Landtagswahlen 2024.

Union ringt um Positionierung

Besonders die Union ringt um eine Positionierung. In den Umfragen liegt die Partei zwar voran, die aktuell 28 Prozent sorgen aber für Unzufriedenheit. In welche Richtung der Kurs gehen soll, darüber gehen die Meinungen auseinander. CDU-Vorsitzender Friedrich Merz ernannte diese Woche den zum konservativen Parteiflügel gehörenden Carsten Linnemann zum Generalsekretär.

Merz hatte unlängst erklärt, die Grünen seien die „Hauptgegner“ in dieser Regierung. Sie seien dafür verantwortlich, „dass diese Polarisierung um die Energiepolitik, um die Umweltpolitik in dieser Weise entstanden ist“. Kritik kam nicht nur von den Grünen, auch parteiintern sind Merz’ Aussagen umstritten. Aktuell regieren Union und Grüne in sechs Bundesländern gemeinsam.

Die Unionsparteien bemühten sich daraufhin um eine Klarstellung. Die AfD sei „nicht nur ein Wettbewerber, ein Gegner, sondern ein Feind der Demokratie“, hieß es. „In der Sache“ müsse sich die Union aber weiter am meisten mit den Grünen auseinandersetzen, bekräftigte Merz. Unterstützung erhielt Merz von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Er schloss im Freistaat nicht nur eine Regierung mit der AfD aus, sondern auch eine mit den Grünen.